Verbrechen: Wasser unter der Haut. Casein auf der Anklagebank.
Text von Fitgiant Brain Dr. Martina Ollesch
Nach dem wir bei der letzten Verhandlung den Verdächtigen „Milchzucker“ freisprechen mussten, sitzt heute ein weiterer Angehöriger des Milch-Clans auf der Anklagebank. Sein Name: Casein.
Doch wie kann es sein, dass ein hochwertiges Protein wie Casein, das wunderbar sättigt, was man doch im Käse, im Quark, im Hüttenkäse usw. möglicherweise täglich als Vertrauten um sich hat, plötzlich ein übler Verbrecher sein soll? Nein, also das fällt den Schöffen schwer zu glauben. Da muss der Staatsanwalt bei der Beweisführung etwas weiter ausholen.
Der menschliche Darm trennt die Außenwelt vom Körperinneren ab. Das Darm“rohr“ ist also praktisch gesehen „Außenwelt“ so wie der umgestülpte Finger bei einem Handschuh.
Die Zellen der Darmwand bilden die Grenze zum Körperinneren. Wie Türsteher entscheiden sie: „Du kommst hier nicht rein“ oder „Du kannst rein“. Für die aufgespaltenen Nahrungsbestandteile wie Aminosäuren und Glucose gibt es Kanäle durch die Darmzellen hindurch ins Blut. Das ist ja auch die Aufgabe des Darms, Nahrungsaufnahme. So wie Türsteher möglichst viele passende Gäste in das Lokal lassen sollen.
Die Darmzellen bilden eine eng aneinander liegende Schicht als Darmwand. Zwischen ihnen soll nichts durchkommen. An manchen Stellen sind sie sogar fest, wie mit einem Kuss, miteinander verbunden (Fachwort; Tight Junctions). Oben, wo sich die schicke Frisur (Fachwort Mikrovilli) befindet, werden die Nährstoffe mit Transportern aus dem Darmrohr in die Darmzelle aufgenommen und auf der anderen Seite ins Blut wieder abgegeben. Dieses Blut (Pfortaderblut) fließt mit den Nährstoffen zur Leber.
Für ganze (intakte) Proteine aber, die nicht in Aminosäuren aufgespalten wurden, gibt es solche Kanäle nicht. Das macht auch Sinn. Denn Fremdproteine (und das sind alle mit der Nahrung aufgenommenen Proteine) sollen nicht ins Blut gelangen, sonst gibt es eine Abwehrreaktion von unserem Immunsystem – es könnten ja Viren oder Bakterien sein.
Jetzt gibt es aber ein paar Nahrungsproteine, die können möglicherweise Troublemaker im Darm sein, bei empfindlichen Menschen, deren Darm entsprechend vorbelastet ist, bei denen also die Türsteher nur die B-Mannschaft sind. Dann verursachen diese Proteine einen ziemlichen Aufruhr im Darm (eine Entzündungsreaktion), und schaffen es dabei, sich durch die ansonsten geschlossene Front der Türsteher durch die Darmwand durchzuquetschen und erreichen das Blut.
Hier sieht man was passiert, wenn ein Troublemaker in einen entsprechend empfindlichen Darm kommt. Gluten, oder hier dargestellt das Casein, was von dieser Person nicht vertragen wird, vielleicht weil sie vorher Antibiotika eingenommen hat, ihre Darmflora nicht ordentlich ernährt hat oder sonst ein Problem hatte, erreicht die Darmzellen. Jetzt ruft das Troublemakerprotein eine Entzündungsreaktion an den Darmzellen hervor. Die Darmzellen, die vorher eng bei einander gelegen haben, weichen erschrocken auseinander und jetzt kommt es zum Supergau. Komplette Proteine – fremde Proteine (vom Weizen, von der Kuh…) können sich aus dem Darm durch die Lücken ins Blut quetschen. Das wird Folgen haben!
Hier treffen sie dann auf die körperinnere Security, das Immunsystem, das jetzt mit Funk alles für einen Gegenschlag zusammentrommeln will. Diese Funksignale bringen aber auch den ganzen Stoffwechsel durcheinander: Wassereinlagerung und Körperfettzunahme, ja sogar eine Insulinunempfindlichkeit (Vorstufe zum Diabetes) können die Folge sein.
Das Weizeneiweiß Gluten und das Milcheiweiß Casein sollen solche Troublemaker sein.
Deshalb sitzt das Casein jetzt als Randalierer auf der Anklagebank.
Hat es das Casein tatsächlich zwischen den Darmzellen hindurch intakt bis ins Blut geschafft, kommt natürlich sofort das Immunsystem und hängt sie wie ein Rucksack an das fremde Protein um es unschädlich zu machen. Dabei wird eine völlig unnötige, überzogene Entzündung ausgelöst. Die Entzündungssignale gelangen wie über Funk in den ganzen Körper und beeinflussen jetzt überall den Stoffwechsel….und natürlich negativ. Wassereinlagerung, Insulinresistenz, verminderter Fettabbau sind die Folge.
„Einspruch“ ruft die Verteidigung: Sie wollen jetzt also dem Casein unterstellen, dass es eine Immunantwort wie eine Allergie auslöst. Dafür müssten Sie ja dann Beweise liefern können. Das Casein müsste Fußabdrücke in Form von Immunkörpern IgE hinterlassen haben. Können Sie solche Antikörper-Fußabdrücke nachweisen?“
„Nein“ sagt der Staatsanwalt „wir haben nur einige unklare Spuren von erhöhten IgG gefunden“
„Sie wissen genau, dass das von der Medizin nicht anerkannt wird, also ist es auch vor Gericht nicht als Beweis zugelassen“, kontert die Verteidigung. Diesen Einspruch musste der Richter gelten lassen.
„Aber wir können zeigen, dass die Türsteher im Darm von diesen (wenigen) empfindlichen Personen, wenn sie in Kontakt mit dem Casein kommen, deutliche Reaktionen einer erhöhten Erregung zeigen und auseinander weichen“ wirft der Staatsanwalt ein.
Ja, natürlich sind das Indizien, aber für einen eindeutigen Schuldspruch reicht es dem Richter keinesfalls aus!!! Das Casein kann keinesfalls unter Allgemeinverdacht gestellt werden. Lediglich bei empfindlichen Personen muss es weiter beobachtet werden, inwiefern es dort als Schuldiger in Frage kommen könnte.
Allerdings als guter Rat: Sollten im Rahmen einer kalorienreduzierten Diät die Erfolge ausbleiben, könnte man durchaus versuchen Gluten und/oder Casein im Ausschlussprinzip eine Zeit lang zu verbannen und gegen eine andere Proteinquelle zu ersetzen. Stellen sich dann ein Gewichtsverlust und eine verminderte Wassereinlagerung ein, verzichtet man halt darauf. Ist das nicht der Fall, kann man weiter Casein als hochwertiges Protein verzehren und muss weitersuchen.
Wir halten fest:
Es gibt Entzündungsreaktionen im Darm.
- Entzündungen im Darm beeinflussen den Stoffwechsel (Wassereinlagerung, Gewichtszunahme, Insulinresistenz…)
- Entzündungsreaktionen im Darm können verschiedene Auslöser haben, gelegentlich gehören auch Proteine wie Gluten, selten Casein dazu (viel seltener als angenommen).
- Eine undichte Darmbarriere und eine gestörte Darmflora sollten unbedingt vermieden werden.
Wie man die Darmbarriere mit der Ernährung beeinflussen kann, lest ihr in der Fortsetzung.